Operation am offenen Herzen    DLZ vom 08.11.2019
Reaktordruckbehälter aus dem Atommeiler ist entkoppelt: Abriss hinkt Zeitplan etwas hinterher
Von Michaela Reh
Brunsbüttel In 15 bis 20 Jahren soll wieder Gras wachsen, wo heute der Atommeiler steht: Der Rückbau des Atomkraftwerkes Brunsbüttel ist gestartet, auch wenn äußerlich noch nicht viel zu sehen ist. Sobald das Lager für schwach- bis mittelradioaktiven Abfall (Lasma) auf dem Gelände des Meilers im September 2020 in Betrieb geht, kann der Abriss richtig Fahrt aufnehmen. Zurzeit befindet sich das Gebäude noch im Bau. Im Lasma sollen nach Angaben des Betreibers Vattenfall etwa zwei Prozent der Abbaumasse aus dem Rückbau des Kernkraftwerks Brunsbüttel und Betriebsabfälle so lange gelagert werden, bis Schacht Konrad als bundesweites Endlager in Salzgitter zur Verfügung steht. Das Lasma ist 116 Meter lang, 48 Meter breit und 16 Meter hoch. Die Wandstärke des Atommülllagers beträgt Angaben Vattenfalls zufolge 85 Zentimeter. Zurzeit wird der Müll, der beim Rückbau an fällt, noch in einer Transportbereitstellungshalle aufbewahrt. Doch deren Kapazitäten seien irgendwann erschöpft. „Ohne das Lasma ist der Rückbau nicht möglich", sagte Werkleiter Markus Willicks beim Vattenfall-Infoabend „Energiewende konkret". In den vergangenen zwölf Monaten hat sich einiges getan im Inneren des Atommeilers an der Elbe: Nachdem im Dezember 2019 das Kieler Energiewendeministerium die sögenannte Stilllegungs- und Abbaugenehmigung erteilt hat, konnte mit dem Abbruch begonnen werden. Ein ganz wichtiger Schritt war die Entkopplung des Reaktordruckbehälters: „Wir haben die Rohrleitungen abgeschnitten und verschlossen: Eine OP am offenen Hcr/en", sagte Willicks. Während des Betriebs ist in dem Reaktordruckbehälter, den die Belegschaft mit RDB abkürzt, durch die Spaltung von Uran-Atomen, eine Menge Energie freigesetzt worden. Jetzt sei die Anlage sozusagen „tot", und es konnte mit der Demontage der Einbauten aus dem Behälter begonnen werden. In dem Verfahren kommt bei hochkontaminierten Bauteilen ein Roboter zum Einsatz, der Unterwasser arbeitet, wie Dr. Michael Hinderks von Vattenfall sagt. Er ist Projektleiter Demontage der RDB-Einbauten. Erst wenn der RDB sozusagen „leer" ist, wird auch der Behälter zerlegt und einlagerungsfähig in sogenannte Konrad-Container verpackt. „Der RDB wird nicht erst gereinigt, das macht keinen Sinn. Er ist für den Schacht Konrad bestimmt", ergänzte Markus Willicks. Seit September seien Mitarbeiter damit beschäftigt, die Kondensationskammern mit einem Hochdruckreiniger zu säubern. „Das ist anstrengende Handarbeit: Alles wird von innen abgestrahlt." Das verwendete Wasser werde gereinigt und verdampft. „Die Feststoffe, die dabei zurückbleiben, sind radioaktiver Abfall." Im Kondensat sei keine Radioaktivität mehr messbar, so Markus Willicks auf Nachfrage eines Zuhörers. Das für den Abriss erforderliche Restbetriebshandbuch soll bis Ende des Jahres vorliegen. Das mehrere hundert Seiten starke Werk beschreibt Maßnahmen und Abläufe, die für den Abriss der Anlage erforderlich sind. Der Rückbau des Atomkraftwerkes wird frühestens in 15 Jahren abgeschlossen sein. „Wir sind im Zeitplan nicht so weit, wie wir eigentlich hätten sein wollen", sagt Willicks. Der Rückbau kostet rund eine Milliarde Euro. Das Geld haben Vattenfall und Miteigentümer Preussen-Elektra zurückgelegt. Wohin mit dem Bauschutt? Ein Großteil des Abfalls aus dem Abriss eines Atommeilers gilt als unbelastet. Etwa 90 Prozent sind Bauschutt, hauptsächlich Gebäudeteile, Fundamente, Rohrleitungen. Der radioaktive Abfall macht laut Vattenfall nur zwei Prozent des Gesamtvolumens aus, also etwa 6000 Tonnen, die zunächst verpackt, zwischengelagert und anschließend in ein Endlager transportiert werden sollen. Der meiste Müll, der beim Rückbau anfallt, soll jedoch recycelt oder für gewöhnliche Deponien freigegeben werden. Weil aber keine Materialien, die nach der Strahlenschutzverordnung radioaktiv sind, wiederverwertet werden dürfen, muss der Abfall zunächst mühselig zerlegt, dekontaminiert und anschließend auf seine Strahlung hin überprüft werden und behördlich „freigemessen" werden. Wo der Bauschutt dann landet, sei laut Vattenfallsprecher Olaf Hiel „eine spannende Frage, die noch unbeantwortet ist". Denn keiner will den Bauschutt aus dem Abriss eines Atomkraftwerkes haben, auch dann nicht, wenn er als unbedenklich gilt. Weil aber die Mehrheit der Menschen in Deutschland den Abriss der Atommeiler wollen, müsse man „eine Akzeptanz in der Gesellschaft herstellen", so Hiel. Dazu sei der Dialog notwendig.